Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Botschafter Jens Plötner im Interview mit der Griechenland Zeitung

GZ: Sehr geehrter Herr Botschafter, warum haben Sie sich für den Posten in Athen beworben?
PLÖTNER: Das hat mehrere Gründe. Zum einen habe ich mehrere Jahre in Berlin im Außenministerium hautnah miterlebt, wie wichtig die Beziehungen zwischen Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland sind. Zum anderen haben meine Frau und ich auf vielen privaten Reisen Griechenland kennen und lieben gelernt. Wir haben uns immer mal gewünscht, nicht nur als Touristen hierher zu kommen, sondern auch ein paar Jahre hier zu leben. Und drittens, nach zwei Botschafterposten in der Ferne, Sri Lanka und Tunesien, dachten wir uns, dass es schön sei, auch einmal in Europa zu arbeiten, aber eher etwas südlicher. Aus diesen drei Gründen war Griechenland der Wunschposten.
GZ: Was sind Ihre ersten Eindrücke von der Hauptstadt?
PLÖTNER: Griechenland war viele Jahre bekannt als Bade- und Kulturziel. Schon in Berlin war mein Eindruck, dass der Städteurlaub, vor allem nach Athen, wichtiger wird. Unsere ersten Monate hier haben wir sehr genossen. Athen ist eine sehr lebenswerte Stadt, die sehr viel bietet. Die Nähe zum Meer, die archäologischen Funde, die vielen Museen. Hinzu kommen viele schöne Plätze, gute Restaurants, schattige Fußgängerzonen. Wie angenehm das Leben in Athen ist, hat mich positiv überrascht, selbst im Hochsommer. Am Tag meiner Ankunft waren es 47 Grad im Schatten. Aber auch bei Hitze in einem Café zu sitzen und das Treiben der Menschen zu beobachten – das ist herrlich.
GZ: Was sind Ihre wichtigsten Schwerpunkte in Athen bei ihrer diplomatischen Tätigkeit?
PLÖTNER: In den letzten Jahren der Wirtschaftskrise sind die Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland auf das Finanzielle reduziert worden. Auch wenn es im Bereich der Finanzreform in Griechenland noch einiges zu tun gibt, bin ich dennoch davon überzeugt, dass wir wieder ein schärferes Bewusstsein bekommen müssen, wie breit die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern tatsächlich sind: weit über den wirtschaftlichen Bereich hinaus. Etwa der Bereich der Kultur, Stichwort: Documenta. Oder der Bereich Wissenschaft und Forschung. Griechenland ist das einzige Land in der EU, mit dem Deutschland ein bilaterales Forschungsabkommen hat. Im Bereich der Jugend gibt es bereits regen Austausch, den wir durch die Gründung eines griechisch-deutschen Jugendwerkes auf eine noch solidere Basis stellen wollen. Ich könnte noch andere Beispiele aufzählen. Das ist im Kern meine Aufgabe in den nächsten drei bis vier Jahren: die ganze Breite der bilateralen Beziehungen in der griechischen und deutschen Öffentlichkeit stärker ins Bewusstsein zu rücken und fortzuentwickeln.
GZ: Wo steht das Projekt „Jugendwerk“ im Moment?
PLÖTNER: Im vergangenen Monat hat es ein Memorandum of Understanding zwischen dem hiesigen Erziehungsministerium und unserem Familienministerium in Berlin gegeben. Darin hat man sich auf die nächsten Schritte geeinigt. Wir werden in den nächsten Monaten in eine Phase treten, in der wir mit einer Arbeitsgruppe aus beiden Regierungen die praktischen Modalitäten besprechen. Wo hat das Jugendwerk im jeweiligen Land seinen Sitz? Welche Finanzmittel werden zur Verfügung gestellt? Welche Projekte nimmt man sich vor? – Es geht jetzt an das wirklich Konkrete bei der Planung.
GZ: Vor den Wahlen im Januar 2015, als die jetzige Regierungspartei SYRIZA noch in der Opposition war, gab es gehörige Widerstände gegen das deutsch-griechische Jugendwerk. Ihren Äußerungen entnehmen wir, dass das alles überwunden ist und dass die griechische Regierung nun besser kooperiert ...
PLÖTNER: Es geht langsam voran, aber es geht voran. Ich bin optimistisch und denke, wir bekommen das hin!. Wir haben in den letzten Monaten in vielen Diskussionen versucht klar zu machen, was wir mit dem Jugendwerk bezwecken und wie wir uns die Arbeit vorstellen. Ich habe den Eindruck, dass das eine oder andere Missverständnis, das es hier in Athen gegenüber diesem Projekt gab, beseitigt werden konnte. Wir können jetzt mit gutem Willen auf beiden Seiten vorankommen.
GZ: Wann glauben Sie, kommt Griechenland aus der Krise? Und wann wird diese erhoffet Erholung auch bei den Bürgern ankommen?
PLÖTNER: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Erstens, wie entwickeln sich die makroökonomischen Faktoren und Indikatoren und zweitens, wie sieht es auf dem Abendbrottisch bei den Familien aus. Die Erfahrung lehrt uns, dass in jedem Land, das ähnliche Reformen umsetzt, ein spürbarer Aufschwung zeitlich gesehen erst später kommt. Das konnten wir auch in Deutschland sehen: Nach den Reformen der Agenda 2010 hat es etwa zwei Jahre gedauert, bis man die ersten positiven Wirkungen sah. Aber diese zwei Jahre hatten die Menschen das Gefühl, es gebe nur negative Konsequenzen, ohne dass es irgendetwas bringen werde und ohne dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Auch in Griechenland wird man, denke ich, diese Karenzzeit haben, bis die Reformen greifen und bis die Menschen das Gefühl haben, dass es wieder aufwärts geht. Nach vier Monaten Amtszeit kann ich nur mit aller Vorsicht von meinem ersten Eindruck sprechen: Mir scheint die Talsohle durchschritten, in vielerlei Hinsicht geht es aufwärts. Klar ist auch, dass noch ein gutes Stück Wegstrecke erforderlich ist, bis sich bei den Menschen das Gefühl einstellt, dass sich die riesigen Opfer, die sehr viele geleistet haben, wirklich gelohnt haben.
GZ: Welche Rolle spielt Deutschland bei der Überwindung der Krise, und worauf richtet die Bundesregierung ihr Hauptaugenmerk?
PLÖTNER: Unser Ziel ist ganz einfach und unmissverständlich: Wir wollen, dass Griechenland Erfolg hat und wirtschaftlich gestärkt aus der Krise kommt. Um dieses Ziel zu erreichen, tun wir alles in unserer Macht Stehende. Wir arbeiten etwa in den entsprechenden Gremien der EU aktiv daran mit, Reformen zu erarbeiten, um die griechischen Finanz- und Wirtschaftsstrukturen zu modernisieren. Wir versuchen, wenn unsere griechischen Partner das wollen, mit Tat und Rat zur Seite zu stehen. Hier geht es zum Beispiel um die Entwicklung eines Ganzjahrestourismus oder die Entwicklung eines Investitionsförderinstruments im Wirtschaftsministerium. Im Bereich des Gesundheitswesens arbeiten wir ebenfalls zusammen.
GZ: Welchen Beitrag leistet die deutsche Wirtschaft in diesem Zusammenhang?
PLÖTNER: Ich bin ein wenig stolz darauf, dass in der Krise eigentlich nur eine Handvoll deutscher Unternehmen ihre Aktivitäten eingestellt hat. Die Mehrzahl ist auch in den schwierigen Jahren hier geblieben, teilweise wurde auch zusätzlich investiert. Heute sind 130 Unternehmen in Griechenland aktiv, die ganz direkt 30.000 Arbeitsplätze stellen. Dazu kommt die Wirtschaftskraft der deutschen Touristen. 2017 wird ein Rekordjahr für den Tourismus insgesamt, aber auch für den deutschen Tourismus, der in Griechenland nicht nur auf Platz eins bleibt, sondern der auch überproportional um knapp über 27 Prozent gewachsen ist. Das ist ja auch eine Unterstützung für das Land.
GZ: Sie sagen, dass Deutschland alles dafür tut, dass es in Griechenland wieder aufwärts geht. Warum ist Griechenland so wichtig für Berlin? Es gab ja auch immer wieder Stimmen, die sich für einen Grexit ausgesprochen haben ...
PLÖTNER: Ich kann mir die EU nicht ohne Griechenland vorstellen. Und darüber hinaus sind wir in der EU eine Familie. Unser Schicksal ist miteinander verflochten. Meine Überzeugung ist, dass es uns nur gutgehen kann, wenn es den anderen Familienmitgliedern ebenfalls gut geht. Und wenn man sieht, dass sich ein Land anstrengt, die Krise hinter sich zu lassen, dann ist das auch eine Frage der europäischen Solidarität, es dabei zu unterstützen. Es liegt auch in unserem ureigenen Interesse, denn kein Land in der EU profitiert so sehr vom Binnenmarkt, von Europa, wie es Deutschland tut. Deshalb gibt es ein überragendes nationales Interesse daran, dass die EU stark, solidarisch und handlungsfähig ist, und das ist sie nur, wenn jedes Land handlungsfähig ist.
GZ: In den Jahren der Krise wurden immer wieder Stereotype laut: Deutschland in der Rolle des bösen Sparmeisters und Griechenland als der faule, unfähige Partner, der immer neue Schulden macht. Was können Sie als Diplomat dazu beitragen, dass diese zum Teil immer noch bestehenden Stereotype abgebaut werden?
PLÖTNER: Es war eine schlimme Erfahrung, dass auf dem Höhepunkt der Krise solche Beleidigungen und Vorurteile ausgetauscht wurden. Von Politikern und von den Medien. Zum Glück sind wir aus diesem Stadium heraus. Dennoch bleibt die eine oder andere Verletzung zurück, die noch nachwirkt. Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen, aber ich hoffe, dass es am Ende des Tages einen Erkenntnisgewinn gegeben hat und wir realistischer aufeinander schauen, dass wir unsere Stärken und Schwächen jetzt besser kennen Ich setze darauf, dass gerade die jungen Menschen auf Grundlage eines realistischen Bildes miteinander sprechen und arbeiten. Das ist auch einer der Gründe, warum uns das Jugendwerk so wichtig ist.
GZ: Anfang 2015 hatte es den Anschein, dass die griechische Regierung große Schwierigkeiten hat, mit Deutschland zusammen zu arbeiten. Von außen scheint es mittlerweile eine recht gute Zusammenarbeit zu sein. Wie kam es zu dieser Umorientierung?
PLÖTNER: Die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen ist gut. Dieses gute Arbeitsverhältnis hat man sich in den letzten zweieinhalb Jahren erarbeitet. Man musste sich zusammenraufen, weil man gemeinsam ganz konkrete Probleme bewältigen musste. Dabei ist man sich auch näher gekommen. Vertrauen ist wieder aufgebaut worden. Heute haben wir, glaube ich, eine gute Grundlage, um gemeinsam einen erfolgreichen Abschluss des Programms zu erarbeiten und einen konstruktiven Dialog über die großen Herausforderungen zu führen, vor denen Europa insgesamt steht.
GZ: Kritische Stimmen vertreten manchmal die Ansicht, dass die Krise benutzt wird, um den Ausverkauf Griechenlands voranzutreiben ...
PLÖTNER: Ich verstehe diese subjektive Angst, aber ein nüchterner Blick auf die Eigentumsstrukturen in unseren modernen Volkswirtschaften zeigt, dass es 100-prozentige nationale Unternehmen nicht mehr gibt. Schauen Sie sich die Struktur von großen deutschen Firmen an, wie der Deutschen Bank oder Volkswagen oder Mercedes. Da haben Sie auch zum Teil erheblichen ausländischen Besitz am Aktienkapital. Deswegen denke ich, ist die Privatisierung, die es hier gegeben hat, kein Ausverkauf, sondern eine Anpassung der griechischen Wirtschaftsstruktur an das, was im Rest Europas sowieso schon gang und gäbe ist.
GZ: Wie geht es im Bereich der Investitionen weiter? Bis auf Ausnahmen hat man den Eindruck, dass sich deutsche Firmen noch zurückhalten ...
PLÖTNER: Ganz so negativ würde ich das Bild nicht zeichnen. Der Einstieg von Fraport bei den Regionalflughäfen in Griechenland wird erhebliche Investitionen von über einer halben Milliarde Euro nach sich ziehen. Gleichzeitig haben Sie mit dem Telefonanbieter OTE einen Partner der deutschen Telekom der hier in den nächsten Jahren hunderte von Millionen Euro in den Ausbau der Netze mit moderner Breitbandtechnologie investieren wird. Und das sind nur zwei große Beispiele. Uns an der Botschaft begegnen wöchentlich auch kleinere deutsche Investitionen, die in der Öffentlichkeit nicht so auffallen. Sicher ist: Griechenland braucht noch mehr Auslandsinvestitionen. Und an der Botschaft sind wir fast täglich mit der griechischen Regierung darüb reim Gespräche, wie wir die Bedingungen für mehr deutsche Investitionen verbessern können.
GZ: Welche wirtschaftlichen Bereiche sind aus deutscher Sicht für Investitionen in Griechenland besonders gefragt?
PLÖTNER: Aufgrund seiner geographischen Lage im Herzen Südosteuropas, mit mehreren leistungsstärken Häfen, eignet sich Griechenland als logistische Drehscheibe. Darüber hinaus hat es eine gut ausgebildete Jugend und auch eine kleine, aber feine Forschungslandschaft, die etwa Firmen wie die Deutsche Telekom nutzen. Schließlich sehe ich noch Potenzial im Bereich der modernen Landwirtschaft.
GZ: Welche Rolle spielt für Sie die Griechenland Zeitung hinsichtlich der Pflege des deutsch-griechischen Verhältnisses?
PLÖTNER: Für mich persönlich ist die Griechenland Zeitung jede Woche eine wichtige und verlässliche Informationsquelle. Für unsere beiden Länder ist sie inzwischen zu einer unverzichtbaren Brücke des gegenseitigen Verstehens geworden.
Das Interview führten Jan Hübel und Robert Stadler.