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Generalkonsul Walter Stechel im Interview mit der Griechenland Zeitung

Generalkonsul Walter Stechel gemeinsam mit den GZ-Herausgebern Jan Hübel und Robert Stadler, © Griechenland Zeitung
Im Interview mit der GZ spricht Generalkonsul Walter Stechel u. a. über die bilateralen Beziehungen, die Städtepartnerschaft mit Köln und Leipzig, den Bau des neuen Holocaust-Museums in Thessaloniki und der Aufarbeitung der deutsch-griechischen Vergangenheit.
GZ: Welche Hauptaufgaben haben Sie als Generalkonsul in Thessaloniki?
STECHEL: Generalkonsulate sind zunächst einmal Servicestellen, sie sind im Grunde genommen das Bürgeramt für die Deutschen, die bei uns im Amtsbezirk leben, und das sind recht viele. Bei uns können sie nahezu alle Formalitäten erledigen – von der Geburt bis zum Tod, von der Geburtsanzeige bis zu Erbscheinsanträgen.
Der zweite große Bereich ist das, was man auf Neudeutsch „public diplomacy“ nennt, dass wir also an die Öffentlichkeit gehen und das Bild eines modernen, offenen Deutschlands vermitteln. Das ist gerade in Griechenland von großer Bedeutung, wo ja bittere Erfahrungen aus der Vergangenheit noch sehr präsent sind. So fahre ich zum Beispiel häufig zu Kranzniederlegungen in sogenannte Opferdörfer, wo deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen haben. Ein maßgebliches Projekt für mich ist schließlich der Bau des Holocaust-Museums in Thessaloniki.
GZ: Gibt es Schätzungen, wie viele Deutsche in Nordgriechenland leben?
STECHEL: Wir haben keinen genauen Überblick, weil für die Deutschen keine Meldepflicht besteht. Viele sind Ehepartner von Griechen, die ihre Männer in Deutschland kennengelernt haben und mit ihnen nach Griechenland zurückgekehrt sind. Außerdem gibt es eine nicht geringe Anzahl an Rentnern, die aus Deutschland nach Griechenland gehen und hier die Sonne und das Leben genießen, zum Beispiel auf dem Pilion. Ich würde die Gesamtzahl der Deutschen auf etwa 30.000 schätzen.
GZ: Es gibt ja auch sehr viele sogenannte „Rückkehrer“, das heißt Griechen, die über einen längeren Zeitraum in Deutschland gelebt und gearbeitet haben, und die mit Beginn des Renteneintritts in ihre Heimat zurückkehren. Wie spürt man diese Gruppe in Nordgriechenland, und wie trägt sie zum deutsch-griechischen Verhältnis bei?
STECHEL: Diese Gruppe bemerkt man natürlich, weil Menschen in vielen Orten, gerade auch in Touristenorten, Deutsch sprechen. Und sie erzählen dann oft, dass sie in Deutschland etwa „beim Daimler“ gearbeitet haben oder anderswo. Sie sind für uns wichtige Ansprechpartner. Das trifft etwa auch auf die „Hellenic Silverstars“ zu, eine Gruppe von Griechen, die in Deutschland lebten und jetzt in der Rentenberatung aktiv sind. Diese Menschen sind für uns ein großer Gewinn.
GZ: Spielt die Flüchtlingsfrage, die auch in Nordgriechenland spürbar ist, bei ihrer Arbeit im Konsulat eine Rolle? Wenn ja, welche?
STECHEL: In den ersten beiden Jahren meiner Dienstzeit in Thessaloniki stand das sehr im Mittelpunkt. Als ich im August 2016 nach Thessaloniki kam, waren die Erinnerungen an das Flüchtlingsdrama in Idomeni, an der nördlichen Grenze Griechenlands, noch sehr lebendig. Für unsere Arbeit standen diese Menschen stark im Mittelpunkt. Das Auswärtige Amt hat in großem Umfang Mittel zur humanitären Hilfe bereitgestellt, die dann meistens über Nicht-Regierungsorganisationen umgesetzt wurde – etwa über die „Caritas“ oder über die „Diakonie“. Wir haben uns bemüht, die NGOs in Kontakt zueinander zu bringen und zweimal, im September 2016 und 2017, Netzwerktreffen mit den privaten und staatlichen Akteuren durchgeführt.
GZ: Wie ist die Lage der Flüchtlinge in Nordgriechenland jetzt?
STECHEL: Die Lage ist immer noch prekär. Es gibt nicht genug Aufnahmekapazitäten. Die griechische Seite baut jetzt weiter Kapazitäten auf, teilweise auch in Ferieneinrichtungen, die im Moment leer stehen, aber in Nordgriechenland ist das Hauptproblem, dass die Zahl der Flüchtlinge, die über die türkische Grenze kommen, deutlich zugenommen hat. Diese werden von Schleusern dann häufig bis nach Thessaloniki gebracht. Das Thema ist also noch nicht beendet. Wir beobachten und verfolgen es weiterhin genau, aber als sogenannte „Geber“ sind wir im Moment nicht aktiv.
GZ: Zurück zu den deutsch-griechischen Beziehungen. Es gibt Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Griechenland. Wie entwickelt sich das?
STECHEL: Das ist für mich ein sehr schönes Thema, denn Thessaloniki hat ja zwei deutsche Partnerstädte: Köln und Leipzig. In diesem Jahr haben wir mit dem Tag der Deutschen Einheit auch das 30-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft mit Köln gefeiert. Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin von Köln, kam dazu mit einer großen Delegation zu einem sehr ergiebigen und produktiven Besuch nach Thessaloniki. Aber auch mit Leipzig ist der Kontakt auf der Bürgerebene ganz stark. Durch die Benennung der beiden Städte Leipzig und Thessaloniki als Standorte für das Deutsch-Griechische-Jugendwerk wird sich auch ein weiteres organisatorisches Feld öffnen, das für beide Städte zur Intensivierung der Zusammenarbeit beiträgt.
GZ: Wie ist die deutsche Bundesregierung in die Planung des Holocaust-Museums in Thessaloniki involviert? Wie ist der Stand der Dinge?
STECHEL: Die deutsche Bundesregierung ist durch eine Zusage von Staatsminister Roth aus dem Auswärtigen Amt involviert. Wir haben zehn Millionen Euro für die Baukosten zugesagt. Der Stand ist, dass eine Studie vorliegt, die architektonisch, museologisch und finanziell die Basis für die weitere Planung darstellt. Im Moment werden die nächsten Schritte bis zur Baugenehmigung unternommen. Wir sind schon einige wichtige Schritte weiter gekommen, aber es bleiben noch weitere Herausforderungen.
GZ: Wann könnte man mit einer Eröffnung rechnen?
STECHEL: Der Zeitplan aus der Machbarkeitsstudie sah die Eröffnung 2021 vor. Aber bei solchen Großprojekten muss man immer damit rechnen, dass es sich um ein oder auch um zwei Jahre verschiebt. Auf jeden Fall handelt es sich für uns um ein ganz wichtiges „Leuchtturmprojekt“, weil es die Aufmerksamkeit auf die Rolle der jüdischen Gemeinschaft in Nordgriechenland lenkt, speziell Thessaloniki, dem „Jerusalem des Balkans“, und auf das grausame Schicksal der griechischen Juden im Holocaust.
GZ: Wie Sie eingangs andeuteten, liegt Ihnen auch die Aufarbeitung der deutsch-griechischen Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg am Herzen. Was ist Ihre Motivation dafür?
STECHEL: Ich hatte, bevor ich nach Thessaloniki kam, ehrlich gesagt kaum eine Ahnung davon, was in Griechenland während der Zeit des Zweiten Weltkriegs passiert ist. Ich begann, mich damit zu beschäftigen. Es ist für mich nur schwer zu verarbeiten, wie sich das Deutsche Reich und deutsche Soldaten in Griechenland verhalten haben. Es war ja aber gerade auch die deutsche Ziviladministration, die den Holocaust, die Vernichtung auch der griechischen Juden betrieb. Es ist für mich sehr nachvollziehbar, dass all das für die griechische Bevölkerung noch immer eine offene Wunde ist, gerade im Bewusstsein der Überlebenden. Sich dieser Verantwortung, dieser Vergangenheit zu stellen, ist aus meiner Sicht unabdingbar, um die Basis für eine gemeinsame Zukunft zu finden. Gerade auch deswegen gehe ich in die Opferdörfer.
GZ: Wie ist das Echo, wie ist die Stimmung, wenn Sie diese Dörfer besuchen?
STECHEL: Das Echo ist sehr unterschiedlich. Ich habe nie Ablehnung oder Feindseligkeit gespürt. Natürlich, Redner bei den Gedenkfeiern in den Opferdörfern sprechen das Thema der Reparationen an. Das ist legitim. Wir kennen die unterschiedlichen Positionen Deutschlands und Griechenlands in dieser Frage. Es ist aber nicht so, dass jemand auf mich zukäme und sagen würde, du bist ein Deutscher und mit dir rede ich nicht, du bist persönlich verantwortlich. Natürlich trage ich aber als Bürger Deutschlands, als Repräsentant Deutschlands, dieses historische Gepäck mit mir. Und das ist ein Gepäck, das sich immer noch auf unsere Gegenwart auswirkt. Das ist eine Narbe, die immer noch besteht.
GZ: Griechenland steht relativ nah vor der Lösung der Namensfrage mit der Früheren Jugoslawischen Republik Mazedonien. Was würde eine endgültige Vereinbarung für Thessaloniki bedeuten?
STECHEL: Ich finde, es ist eine tolle Sache, dass diese Annäherung stattfindet. Mit einer EU-Beitrittsperspektive des Nachbarn ändert sich auch die wirtschaftliche Perspektive gerade für Thessaloniki. Und das ist für mich als Volkswirt eine ganz zentrale Frage: Wie kann der Hafen von Thessaloniki als Tor zum Balkan entwickelt werden? Der Hafen benötigt das Hinterland, und das Hinterland wäre der Westbalkan. Nur mit einem EU-Beitritt der Westbalkanländer kann das Potenzial von Thessaloniki als Verkehrsdrehscheibe vollständige gehoben werden. Und deswegen setze ich sehr viel Hoffnung in diese politische Entwicklung.
GZ: Hatten Sie bereits Bezüge zu Griechenland, bevor Sie nach Griechenland kamen?
STECHEL: Nein. Aber als Kind wollte ich unbedingt Archäologie studieren, und die Ausgrabungen in Olympia, in Mykene, in Delphi waren für mich sehr präsent. Jetzt habe ich die Möglichkeit, diese Orte als Bewohner Griechenlands zu besuchen, und das ist für mich fantastisch. Gerade auch in Nordgriechenland: Vergina, Pella, Dion … Das sind für mich wunderbare Erlebnisse.
GZ: Nordgriechenland wird aus touristischer Sicht oft etwas unterschätzt. Wie ist Ihre Meinung dazu?
STECHEL: Die Chalkidiki ist natürlich ein Großziel, auch für deutsche Touristen, genauso wie auch der Pilion. Aber es gibt viele höchst interessante weitere Ziele. Die Natur ist fantastisch. Ich denke da zum Beispiel an den Rhodopi-Nationalpark, der wohl die größte Orchideendichte in Europa hat. Oder auch der Weintourismus. Wir hatten im Juni eine Veranstaltung mit deutschen Experten, die ganz begeistert waren, weil sie die Entwicklung der letzten Jahre in der griechischen Weinwirtschaft gar nicht wahrgenommen haben. Aber es müsste, gerade in Regionen wie Ost-oder Westmakedonien, touristische Pakete geben, die aus den Bereichen Kulinarik, also Wein und Essen, aus Kultur und Natur geschnürt werden. Das setzt ein hohes Maß an Zusammenarbeit voraus. Und da besteht noch Entwicklungspotenzial.
Das Interview führten Jan Hübel und Robert Stadler.