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Botschafter Ernst Reichel im Interview mit der Griechenland Zeitung

Die beiden GZ-Herausgeber Jan Hübel (l.) und Robert Stadler (r.) im Gespräch mit Botschafter Dr. Ernst Reichel

Die beiden GZ-Herausgeber Jan Hübel (l.) und Robert Stadler (r.) im Gespräch mit Botschafter Dr. Ernst Reichel, © Deutsche Botschaft Athen

08.07.2020 - Interview

Im Interview mit der Griechenland Zeitung spricht Botschafter Dr. Ernst Reichel u. a. über die Bewältigung der Corona-Krise, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, sowie über die Internationale Messe Thessaloniki, bei der Deutschland dieses Jahr Partnerland ist.

GZ: Herr Botschafter, wie sind Sie als Botschaft bisher mit der Corona-Krise zurechtgekommen? Welche zusätzlichen Aufgaben mussten Sie übernehmen?

REICHEL: Für die Botschaft war die Corona-Krise, genauso wie für jede Firma oder Behörde, zunächst einmal eine große interne Management-Aufgabe. Wir mussten umorganisieren und mit den Sorgen nicht nur der Menschen draußen, sondern auch mit denen unserer Mitarbeiter in der Botschaft selbst umgehen. Das ist uns, glaube ich, ganz gut gelungen. Wir hatten auch keinen Infektionsfall in der Botschaft. Aber wir mussten zum Beispiel den Publikumsverkehr unterbrechen oder stark reduzieren und nur auf Notfälle beschränken.

Natürlich mussten wir uns gleichzeitig noch intensiver als sonst um die Deutschen hier in Griechenland kümmern, die in der Folge der Reise- und Ausgangsbeschränkungen besondere Bedürfnisse hatten. Bezogen auf das Konsulargeschäft hatten wir also eine  Zunahme des Arbeitsaufwands. Gleichzeitig konnten wir die Mitarbeiter nicht voll hier im Haus beschäftigen.

GZ: Was waren die Hauptprobleme deutscher Bürger in Griechenland?

REICHEL: Meiner Schätzung nach wollte die Mehrheit der Deutschen, die sich hier vorübergehend aufgehalten haben, zurück in die Heimat. Dabei gab es natürlich Probleme. Zum Glück gab es immer reguläre Flugverbindungen, die nutzbar waren, sodass man nicht – wie in anderen Teilen der Welt – extra Flüge organisieren musste, um die Leute nach Hause zu bringen. Es gab aber auch Sonderfälle, wie etwa Bürger mit Wohnwagen, die sich weigerten, per Flugzeug zurückzukehren, weil sie den Wohnwagen nicht zurücklassen wollten. Ein paar Wochen später ist es uns dann gelungen, für diese Kategorie eine Lösung zu finden. Ihre Ausreise erfolgte mit mehreren Fähren nach Italien. Das war ziemlich aufwändig in der Organisation, denn eigentlich war der Fährverkehr für Privatpersonen eingestellt und deswegen mussten da viele Ausnahmen gemacht werden.

GZ: Sind in diesem Jahr deutsche Touristen in Griechenland zu erwarten?

REICHEL: Es wird auf jeden Fall deutsche Touristen geben. Wir bekommen eine ganze Menge Telefonanrufe von Deutschen, die reisen wollen. Aber wie viele es werden, das wird eine Frage der Psychologie sein. Es wird davon abhängen, was für die Menschen stärker wiegt – die Vorsicht oder Verunsicherung oder der Wunsch, einen schönen Urlaub zu haben und das Vertrauen in die Schutzmaßnahmen, die in Griechenland getroffen werden.

GZ: Kann man Reisenden aus dem Ausland in diesem Jahr einen Urlaub in Griechenland empfehlen?

REICHEL: Ja, ich empfehle den Urlaub in Griechenland – zum Beispiel meinen Töchtern, die mich besuchen kommen wollen. Wer jetzt durch Griechenland reist, so wie ich das am Wochenende mache, der erlebt einen ganz außergewöhnlichen Sommer. Es ist nirgends überfüllt, das Land befindet sich quasi in einem ursprünglichen Zustand. Das ist schon eine besondere Erfahrung. Und die Infektionszahlen in Griechenland sprechen ja für sich, sie sind – gemessen an der Gesamtbevölkerung – niedriger als in Deutschland.

GZ: Wie funktioniert der Flugverkehr zwischen den beiden Ländern? Wird sich die Lage hier in den nächsten Monaten normalisieren?

REICHEL: Es gibt natürlich schon die deutsch-griechischen Direktverbindungen. Ich rechne damit, dass die Anzahl der Verbindungen jetzt zu Beginn der Urlaubssaison erheblich zunehmen wird. Natürlich kämpfen alle Fluggesellschaften ums Überleben. Manche können Staatshilfe in Anspruch nehmen und andere nicht. Die Low-Coster klagen beispielsweise über die Staatshilfen, die anderen etablierten Fluglinien gewährt werden. Stornierungen und Umbuchungen können nicht völlig ausgeschlossen werden. Wenn man reist, dann muss man ein bisschen Flexibilität und gute Nerven mitbringen.

GZ: Welche Aufgaben kommen auf die Botschaft, auf das Generalkonsulat in Thessaloniki sowie auf die Honorarkonsulate zu, falls deutsche Touristen in dieser Saison vom Coronavirus betroffen sein sollten? Wären auch Maßnahmen wie etwa kostspielige Rückführungen von Patienten nach Deutschland denkbar?

REICHEL: Eine weltweite Rückholaktion, wie das Auswärtige Amt das gemacht hat, wird es nicht noch einmal geben. Jeder Reisende ist, wie auch sonst üblich, selbst dafür verantwortlich, Vorsorge für solche Fälle zu treffen. Das heißt, er sollte sich zum Beispiel mit einer Auslandskrankenversicherung und einer Rückholversicherung ausstatten. Und natürlich soll er die griechischen Regeln ebenso befolgen wie die Regeln in Deutschland, zum Beispiel die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Botschaft leistet nach den ganz allgemein geltenden Regeln in Notfällen Unterstützung. Sie hilft zum Beispiel beim Aufzeigen von Rückreisemöglichkeiten und hilft auch beim Aufzeigen von Behandlungsmöglichkeiten, sie schafft Verbindungen zu Ärzten oder Krankenhäusern …

GZ: Wie beurteilen Sie das Management der griechischen Regierung in der Corona-Krise?

REICHEL: Die Zahlen hier in Griechenland sind besser als in Deutschland. Und Deutschland wird häufig international als Erfolgsgeschichte genannt. Deswegen kann man schon sagen, dass Griechenland erst recht eine Erfolgsgeschichte ist. Ich glaube, hier hat sich der frühe und entschlossene Lockdown ausgezahlt – ein Lockdown zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht viele Reisende aus stärker betroffenen Ländern bis nach Griechenland gelangt waren. Jetzt können wir nur hoffen, dass die Tatsache, dass Griechenland gut mit der Pandemie umgegangen ist, auch dazu führt, dass die wirtschaftliche Erholung früher und stärker einsetzt. Das wissen wir einfach noch nicht.

GZ: Gab es während der Krise eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Behörden der beiden Länder?

REICHEL: Klar war, dass Griechenland, weil es vergleichsweise so gut dagestanden hat und dasteht, nicht die Hilfe in Anspruch nehmen musste, die wir anderen, besonders betroffenen europäischen Staaten haben zukommen lassen. Zum Beispiel gab es das Angebot, Intensivpatienten in Deutschland behandeln zu lassen, und Griechenland musste darauf nicht zurückgreifen – anders als beispielsweise Italien, Frankreich, Spanien. Der Kontakt zwischen den Fachleuten hat sich natürlich sehr intensiv gestaltet.

GZ: Am 1. Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Was bedeutet das für Sie als Botschaft? Welche Aufgaben kommen auf Sie zu?

REICHEL: Die EU-Ratspräsidentschaft kommt zu einer enorm herausfordernden Zeit für alle in Europa. Zu den „normalen Themen“, die bei Licht betrachtet gar nicht normal sind, wie z. B. Migration oder Brexit, kommen diejenigen hinzu, die durch die Pandemie entstanden und die außerdem noch besonders dringlich sind. Da geht es etwa um den enormen finanziellen Unterstützungsfonds, den die EU zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie vorbereitet. Auch geht es um die koordinierte Wiederherstellung der Reisefreiheit im Schengen-Raum. Die Botschaft hat bei all diesen Themen die Aufgabe, noch stärker als sonst den Dialog zu führen mit der griechischen Politik und der griechischen Öffentlichkeit, damit wir in der EU bei all diesen Fragen an einem Strang ziehen.

GZ: Apropos Migrationspolitik: Viele deutsche Kommunen erklären sich bereit, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen. Um welche Größenordnung geht es dabei. Auf welche Weise werden derartige Initiativen von der Botschaft unterstützt?

REICHEL: Zunächst muss man sagen, dass es Bundesregierung ist, die diese Überführung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen beschlossen und organisiert hat. Nach der Ankunft der Kinder und Jugendlichen erfolgt dann die Verteilung innerhalb Deutschlands. Es hat im April bereits einen ersten Transport mit 47 Kindern nach Hannover gegeben. Weitere solcher Transporte werden folgen. Dann werden wir uns in Übereinstimmung mit der griechischen Seite stärker auf schwerkranke Kinder konzentrieren, die behandlungsbedürftig sind. Zusätzlich zu den 47, die bereits gereist sind, rechnen wir mit deutlich über 200 Kindern zuzüglich ihrer Kernfamilien. Damit kommen wir auf schätzungsweise 700 bis 800 Personen, vielleicht auch mehr.

GZ: Wird das noch im Verlaufe dieses Jahres realisiert?

REICHEL: Ja. Vielleicht sogar schneller. Die Botschaft spielt dabei eine sehr wichtige Rolle, denn wir koordinieren zwischen den Ministerien in Berlin und den griechischen Behörden. Hinzu kommen der UNHCR, also der UN-Flüchtlingskommissar mit seinem Büro, die Internationale Organisation für Migration und Nichtregierungsorganisationen, NGOs. Sie können sich vorstellen, dass das keine Kleinigkeit ist, denn es handelt sich um Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen und mit ganz unterschiedlichen Schicksalen. Man muss versuchen, diese Überführung einerseits so einfach und unbürokratisch wie möglich und so gerecht wie möglich zu gestalten, aber trotzdem muss alles sicher und korrekt vonstattengehen. Der letzte Transport war da eine Premiere, wir mussten uns, während wir arbeiteten, mit der griechischen Seite darüber klar werden, nach welchen Kriterien und mit welchem Verfahren wir vorgehen … Das war wirklich besonders anspruchsvoll.

GZ: Wie Sie schon sagten: Es geht um ganz persönliche Schicksale. Wer unterbreitet die entsprechenden Vorschläge und wie läuft dieses Verfahren?

REICHEL: Für die Erstellung von Namenslisten ist die griechische Seite in Zusammenarbeit mit dem UNHCR verantwortlich, uns werden dann entsprechende Vorschläge unterbreitet. Dann prüft bei uns das Bundesinnenministerium bzw. das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ob das den Kriterien entspricht, und auf dieser Basis liegt die letzte Entscheidung dann beim Bundesinnenministerium.

GZ: Deutschland ist in diesem Jahr Gastland bei der Internationalen Messe in Thessaloniki, die für September geplant ist. Wie es aussieht, findet die Messe tatsächlich statt. Was wird wegen der Corona-Krise anders sein?

REICHEL: Ich glaube, die Messe wird in diesem Jahr eine ganz besondere Bedeutung haben, denn sie markiert den Beginn des gemeinsamen wirtschaftlichen Comebacks in Europa und insbesondere zwischen Deutschland und Griechenland. Wir stellen bei der Messe heraus, dass Deutschland ein wichtiger und bereitwilliger Partner ist, dieses Comeback gemeinsam zu gestalten. Natürlich wird die Messe anders organisiert sein, als sie das in der Vergangenheit gewesen ist. Zwangsläufig wird es deutlich weniger Besucher geben, dafür werden mehr B2B-Kontakte, also Begegnungen zwischen Firmen, im Vordergrund stehen. Wir werden unsere „Partnerlandhalle“ mit 6.000 Quadratmetern gut füllen und ich glaube, die Halle unter dem Motto „Lebenswelten“ wird sehr spannend gestaltet werden.

GZ: Auf welche Themen werden Sie sich besonders konzentrieren?

REICHEL: Wir konzentrieren uns besonders auf Zukunftsthemen wie Innovation, Energie, Klima, Digitalwirtschaft, Gesundheit. Außerdem gibt es ein eindrucksvolles, kulturelles Begleitprogramm. Sie können sich vorstellen, dass wir das sehr schnell umstricken mussten, weil vieles, was man normalerweise für die Besucher plant, unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht umzusetzen ist. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber ich glaube, wir haben uns etwas ausgedacht, was wirklich attraktiv und gut sichtbar sein wird.

GZ: Deutschland hat im Jahr 2020 den Vorsitz der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) inne. Welche Aktivitäten sind in Griechenland in diesem Zusammenhang geplant?

REICHEL: Auch hier mussten wir ziemlich viel umstricken. Wir mussten innehalten und dann schnell neu planen. Aber wir haben wie jede IHRA-Präsidentschaft einen Schwerpunktort, in unserem Fall wird das Korfu sein. Wir setzen auf einen Zeitraum im Oktober, in dem wir hoffen, dass die Restriktionen etwas gelockert sind. Da wollen wir eine ganze Serie von Ausstellungen und Konzerten veranstalten. Das Thema ist sehr ernst, aber trotzdem freue ich mich darauf, nach Korfu zu reisen.

GZ: Griechenland hat gravierende Probleme mit seinem östlichen Nachbarn Türkei. Mehrfach hat Ankara sogar mit dem Einsatz militärischer Gewalt gedroht, falls Athen versuchen sollte, türkische Pläne im östlichen Mittelmeer zu behindern. Welche Haltung vertritt die deutsche Bundesregierung in dieser Frage?

REICHEL: Sowohl für Griechenland als auch für uns Deutsche ist die Türkei ein wichtiger Faktor. Wir haben keine Wahl, sondern wir müssen mit der Türkei umgehen. Natürlich ist es das Ziel – den Umständen entsprechend – möglichst gute Beziehungen zur Türkei zu haben, auch wenn uns dieses Land immer wieder herausfordert und sich auch innenpolitisch in eine zunehmend problematische Richtung entwickelt. Zugleich muss man natürlich Völkerrechtsverletzungen wie zum Beispiel das Seerechtsabkommen, das die Türkei mit Libyen geschlossen hat, seitens der EU klar und geschlossen zurückweisen, und das geschieht auch. Ich glaube zudem, dass sich Griechenland und Deutschland einig sind, dass niemand ein Interesse daran haben kann, dass das Verhältnis zur Türkei weiter eskaliert oder außer Kontrolle gerät. Speziell die Türkei trägt eine Verantwortung dafür, dass es nicht zu solchen Eskalationen kommt. Mein Eindruck ist, dass wir das in Griechenland und Deutschland ganz ähnlich sehen, auch wenn die griechische Perspektive natürlich eine Perspektive unmittelbarer Nähe ist.

GZ: Herr Botschafter, wir bedanken uns ganz herzlich für dieses Interview.

Das Interview führten Jan Hübel und Robert Stadler.

www.griechenland.net

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