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Rede von Botschafter Ernst Reichel anlässlich der Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Herrn Argyris Sfountouris
Sehr geehrter Herr Sfountouris,
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
Herzlich willkommen, auch im Namen meiner Frau, in der deutschen Residenz. Es ist mir eine Freude und Ehre, Sie heute hier empfangen zu dürfen. Sie kennen den Anlass: Bundespräsident Steinmeier hat Herrn Argyris Sfountouris auf Vorschlag des Bundesministers des Auswärtigen das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Meine Aufgabe, über die ich mich freue, ist, Herrn Sfountouris die Auszeichnung zu überreichen und seine Verdienste zu würdigen.
Herr Sfountouris wurde am 6. September 1940 im griechischen Dorf Distomo geboren. Er war noch keine vier Jahre alt, als am 10. Juni 1944 Angehörige der SS-Polizei-Division 218 Zivilisten, darunter die Eltern und zahlreiche Verwandte von Herrn Sfountouris, in einer grausamen, erschütternden Racheaktion ermordeten.
Man kann wohl zwar intellektuell verstehen, aber kaum emotional nachempfinden, was für eine unvorstellbare Tragödie dies für den kleinen Jungen war. Und natürlich für das Dorf insgesamt, für jeden seiner verbliebenen Bewohner.
Es mag banal klingen, aber das Massaker war ein absoluter Tiefpunkt der Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland, und zudem nicht das einzige seiner Art.
Herr Sfountouris gelangte in die Schweiz, in das Pestalozzi-Kinderdorf in Trogen. Es schließt sich ein von vielseitigen Interessen geprägtes, erfolgreiches Leben an, mit einem Studium der Astrophysik und Kernphysik an der ETH Zürich, einer Tätigkeit als Lehrer, einer späteren Auseinandersetzung mit der griechischen Lyrik und ihrer Übersetzung ins Deutsche, sowie mit anspruchsvollen, jedoch spannenden Einsätzen als Entwicklungshelfer in Ländern wie Somalia, Nepal und Indonesien. Es gab sogar einen Briefaustausch mit Albert Einstein.
Charakteristisch für die Tätigkeit von Herrn Sfountouris dabei der Einsatz für andere, und das Gemeinwohl. Deshalb war es folgerichtig, dass er sich auch politisch mit Bezug auf Griechenland engagierte.
Bereits während der Militärdiktatur Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre nutzte Argyris Sfountouris seine Leidenschaft für die griechische Literatur und Lyrik, um das deutschsprachige Publikum auf den Verfall der Demokratie und die Verletzung von Menschenrechten in Griechenland aufmerksam zu machen.
Die von ihm herausgegebene Kulturzeitschrift Propyläa – Zeitschrift für Griechenland ermöglichte die Veröffentlichung von Texten, die in der Heimat verboten waren.
Wenn aber Argyris Sfountouris heute das Bundesverdienstkreuz erhält, dann – so ist es vorgesehen – für besondere Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland.
Und in der Tat hat sich Herr Sfountouris um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht, auch wenn diese Feststellung vielleicht für manche irritierend wirken kann. Denn er hat sich in beharrlichem Wirken dafür eingesetzt, das Massaker von Distomo und die von Nazideutschland in Griechenland verübten Gräuel in Deutschland bekannt und bewusst zu machen.
Und dies stets mit dem Ziel, durch ehrliche und offene Aufarbeitung dazu beizutragen, eine gemeinsame deutsch-griechische Erinnerungskultur zu schaffen. Eine Erinnerungskultur, die zugleich Freund-Feind-Schemata und Stereotypen überwinden soll.
Unsere Länder, Europa, aber auch die Welt als Ganzes waren in den neunziger Jahren, in der Zeit, als Sie um die gerichtliche, aber auch historische und moralische Anerkennung der nationalsozialistischen Gräueltaten in Griechenland kämpften, anders als heute.
Das Schreiben der Deutschen Botschaft in Athen vom 23. Januar 1995 an Sie, Herr Sfountouris, womit das von deutscher Hand begangene Massaker in Distomo nicht als NS-Tat, sondern als „eine Maßnahme im Rahmen der Kriegsführung“ bezeichnet wurde, ist auch für uns Deutsche heute skandalös und beschämend.
Dass wir dies in Deutschland heute verstehen und erkennen, ist es, was uns heute hier zusammenbringt. Ihr Verdienst ist es, sich mit diesem Schreiben nicht abgefunden zu haben, sondern wesentlich dazu beigetragen zu haben, dass die Perspektive in Deutschland gewechselt hat.
Klar und robust in der Form, aber stets mit dem Ziel der Versöhnung zwischen Griechenland und Deutschland, und einer gemeinsamen Zukunft beider ehemaliger Kriegsgegner in einer gemeinsamen Europäischen Union.
Wie Sie wissen, übernimmt die Bundesrepublik Deutschland ohne Einschränkung die politische und moralische Verantwortung für den deutschen Angriffskrieg in Europa und den Holocaust, ebenso wie für die abscheulichen Gräueltaten der Nationalsozialisten in Griechenland. Deutschland spricht offen hierüber und fördert systematisch wissenschaftliche und künstlerische Projekte, die die Erinnerung an die schrecklichen Geschehnisse von damals wachhalten.
Dies war der Gedanke, als der damalige Bundespräsident Joachim Gauck 2014 im Opferdorf Lingiades die Errichtung des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds ankündigte. Bis heute wurden aus ihm mehr als hundert Projekte gefördert.
Unter anderem wird großer Nachdruck auf schulische und außerschulische Jugendbegegnungen zwischen Deutschland und Griechenland gelegt, damit die teilnehmenden Jugendlichen die Möglichkeit haben können, Schlussfolgerungen aus der gemeinsamen Geschichte zu ziehen. Das neu errichtete Deutsch-Griechische Jugendwerk bietet eine zusätzliche Institutionalisierung und Förderung dafür an.
Hinzu kommen Schulprojekte, wie das Projekt der Deutschen Schule Athen „DSA erinnert“, das im Februar 2021 vom damaligen Bundesaußenminister Heiko Maas ausgezeichnet wurde. Es beruht unter anderem auf der konsequenten Erinnerungsarbeit an der Schule und den zahlreichen Schülerbegegnungen zwischen der Deutschen Schule Athen und dem Lyzeum in Distomo, dem Geburtsort von Herrn Sfountouris.
Meine Damen und Herren,
Der Kampf gegen Grausamkeit und Menschenverachtung, für den Respekt des Werts jedes menschlichen Lebens, wird nicht nur in Griechenland und Deutschland geführt, und nicht nur mit Bezug auf Untaten, die im Zweiten Weltkrieg und von Nationalsozialisten begangen wurden.
Heute werden in der Ukraine Menschen zu Hunderten willkürlich massakriert, und es wird ein Angriffskrieg geführt ohne die mindeste Rücksichtnahme auf zivile Todesopfer. Ortsnamen wie Mariupol und Bucha sind weltweit bekannt, aber vermutlich nur einzelne Beispiele hierfür.
Es ist sehr zu hoffen, dass sich auch hier mutige und entschlossene Menschen finden, die der historischen Wahrheit zum Durchbruch verhelfen und dazu beitragen, dass diese Verbrechen auch in Russland allgemein anerkannt und bereut werden. Denn nur so können wir hoffen, die stetige Wiederkehr unmenschlicher Grausamkeit zu unterbrechen.
Sehr geehrter Herr Sfountouris,
bitte kommen Sie jetzt zu mir, damit ich Ihnen das Bundesverdienstkreuz aushändigen kann.
Ich möchte Ihnen jetzt die Verleihungsurkunde vorlesen.
Herzlichen Glückwunsch!