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Bundeskanzler Scholz: „Deutsche und Griechen sind in Freundschaft in Europa vereint“
Kanzler Scholz im Interview mit „Ta Nea“, © Bundesregierung/Kugler
Im Interview mit der griechischen Zeitung „Ta Nea“ spricht Bundeskanzler Olaf Scholz über die Unterstützung der Ukraine, offene Fragen zwischen Griechenland und der Türkei – und die Gasversorgung.
Interview: Georgios Pappas
Herr Bundeskanzler, Deutschland und Griechenland unterstützen aktiv die Ukraine im Krieg gegen Russland, auch im „Ringtausch“. Wie schätzen Sie die bisherige deutsch-griechische Zusammenarbeit für die Unterstützung der Ukraine ein?
Bundeskanzler Olaf Scholz: Unsere Zusammenarbeit ist eng und vertrauensvoll – und gerade bezüglich der gemeinsamen Unterstützung der Ukraine sogar beispielgebend! Ich bin sehr dankbar, dass es uns zusammen gelingt, die ukrainischen Streitkräfte mit dringend benötigtem Militärmaterial auszustatten. Material, was dort sofort eingesetzt werden kann. Durch den Panzer-Ringtausch, den wir mit Griechenland, aber auch der Slowakei, der Tschechischen Republik und anderen Ländern etabliert haben, können mehr als 100 Panzer an die Ukraine geliefert werden, was dort ganz akut sehr hilft.
Griechenland ist mit ähnlichen, wie im Fall der Ukraine territorialen Ansprüchen seitens der Türkei konfrontiert. Die Spannungen mit der Türkei in der Ägäis nehmen zu, es häufen sich die offenen Drohungen gegen Griechenland, die die Souveränität griechischer Inseln an den griechischen – und somit auch europäischen – Grenzen im Ost-Ägäis in Frage stellen. Kann Griechenland diesbezüglich auf die Unterstützung Deutschlands zählen?
Scholz: Die Situationen sind aus unserer Sicht nicht zu vergleichen und ich würde auch dazu raten, solche Vergleiche nicht anzustellen. Richtig ist: Es ist nicht akzeptabel, wenn NATO-Partner die Souveränität eines anderen infrage stellt. Das gilt auch für mehr oder weniger verschlüsselte militärische Drohungen. Gute, nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sind nicht nur für beide Länder, sondern für ganz Europa bedeutsam. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die offenen Fragen zwischen beiden Ländern im Dialog und auf der Grundlage des Völkerrechts gelöst werden. Unser gemeinsames Ziel, unsere Vision sollte doch sein, das ganze wirtschaftliche Potential der östlichen Mittelmeer-Region auszuschöpfen. Zum Wohle aller Länder. Sofern das von den Beteiligten als nützlich betrachtet wird, kann sich Deutschland hier einbringen.
Alle EU-Länder leiden unter der Energiekrise. Ihre Regierung hat inzwischen ein gigantisches Paket von 200 Milliarden Euro in die Wege geleitet. Gleichzeitig sträubt sie sich gegen einen europäischen Gaspreisdeckel, und wird von mehreren EU-Partnern deswegen scharf kritisiert. Der griechische Ministerpräsident, Kyriakos Mitsotakis, hat offen Kritik wegen mangelnder Solidarität Deutschlands geübt. Warum zeigt sich Deutschland bei der Energiekrise unsolidarisch?
Scholz: Im Gegenteil! Deutschland ist sehr solidarisch, und der jüngste EU-Gipfel hat genau das gezeigt. Unter den hohen Gaspreisen und der Knappheit leidet Europa insgesamt, und ich bin überzeugt: Die Krise lässt sich nur solidarisch bewältigen. Wir brauchen Lösungen, die funktionieren und keine negativen Folgen für die Gasversorgung in Europa haben. Wir wollen spekulative Preisspitzen auf dem Markt unterbinden, die sich oft nur für wenige Stunden bilden. Wir werden Gasversorgern erlauben, Gas gemeinsam einzukaufen. Und wir wollen das Gas für die Speicher zu einem Teil gemeinsam einkaufen, damit die Preise nicht noch durch den Beschaffungswettbewerb steigen. Die Preise für Gas müssen auf Dauer sinken. Nicht vergessen dürfen wir, mehr Energie in Europa einzusparen und den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zu beschleunigen.
Sie, Herr Bundeskanzler, als Bundesfinanzminister Deutschlands, hatten maßgeblich dazu beigetragen, dass die EU mit dem Wiederaufbaufonds ein wirksames Instrument bekam, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie einzudämmen. Was spricht gegen ein ähnliches Instrument der EU, um die Folgen der Energiekrise zu meistern? Wenn nicht bei einer „Zeitenwende“, wie Sie es nach dem Ukrainekrieg nannten, wann dann?
Scholz: In der aktuellen Krise stehen auf europäischer Ebene erhebliche Mittel bereit! Und wir können sie zur Bewältigung der aktuellen wirtschaftlichen und energiepolitischen Herausforderungen nutzen. Aus dem Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“, den wir während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf den Weg gebracht haben, ist bislang erst rund ein Fünftel der zugesagten Mittel abgeflossen. Hier steht also noch ein Großteil der Mittel zur Unterstützung von Investitionen und Reformen in den Mitgliedstaaten zur Verfügung und kann zur Krisenbewältigung und zur ökologischen Transition im Energiebereich beitragen. Zusätzlich sind Mittel von mehr als 200 Milliarden Euro im REPowerEU-Programm vorhanden, das ebenfalls eingesetzt werden kann, um insbesondere die Energiewende und unsere Unabhängigkeit von russischen Energieimporten zu beschleunigen.
Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland haben während der Eurokrise im vergangenen Jahrzehnt sehr stark gelitten. Was ist von Ihrem ersten Besuch in Athen für deren Verbesserung zu erwarten?
Scholz: Die Beziehungen zu Griechenland sind aus meiner Sicht sehr gut und vertrauensvoll, sie fußen auf einem breiten Fundament. Das zeigt sich auch bei der konkreten gemeinsamen Zusammenarbeit – im Bereich der Wirtschaft, der Forschung oder als Partner in der EU und NATO. In all diesen Bereichen ist mehr möglich und ich freue mich darauf, genau das mit Premierminister Mitsotakis zu besprechen.
Ein Hindernis bleibt dennoch das Thema Kriegsreparationen. Deutschland hält dieses Thema für abgeschlossen, Griechenland dagegen besteht weiterhin auf seine Forderungen. Wäre Deutschland bereit, mit Griechenland zumindest über die Zwangsanleihe von 1942 zu sprechen, welche ein zinsloses Darlehen war und durch Teiltilgungen schon damals bedient wurde?
Scholz: Sie haben Recht – juristisch und politisch ist die Reparationsfrage abgeschlossen. Gleichzeitig ist klar: Deutsche haben grausame Verbrechen verübt. Deshalb sind Aufarbeitung und Erinnerung für uns so wichtig, und deshalb ist mir unsere Zusammenarbeit bei Projekten der Bildung und Erinnerung so wichtig. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Griechen und Deutsche heute in Freundschaft und Partnerschaft in Europa vereint sind.