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Außenministerin Baerbock: „Griechenland kann sich auf Deutschlands Solidarität verlassen“
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, gibt Journalisten ein Interview., © picture-alliance/dpa
Interview von Außenministerin Annalena Baerbock mit der griechischen Zeitung „TA NEA“ aus Anlass ihres Besuchs in Athen.
Interview: Georgios Pappas
Frau Außenministerin, Ihre erste Reise nach Griechenland findet statt in einer Zeit, wo der Krieg Russlands in der Ukraine wütet und die EU ein Paketen von Sanktionen nach dem anderem gegen Russland verhängt. Darunter leidet nicht nur Russland, sondern auch die europäischen Bürger. Wie lange kann Europa den Druck der Folgen der Sanktionen durchhalten?
Baerbock: So lange die Ukraine uns braucht. Der russische Außenminister hat es gerade sogar ausgesprochen: Putin will nicht nur die Ukraine unterwerfen und ihren Menschen das Recht auf demokratische Selbstbestimmung nehmen. Sein Angriff zielt auch auf Europa, auf das Friedensprojekt, das uns in den letzten Jahrzehnten Sicherheit und Freiheit gebracht hat. Wir Europäer spüren nicht nur die Folgen der Sanktionen, sondern auch, dass Russland mit dem friedlichen Miteinander auf unserem Kontinent bricht. Putin benutzt Energie als Waffe. Er reduziert willkürlich die Gasflüsse nach Europa.
Ja, auch wir zahlen einen Preis für unseren Widerstand gegen Russlands Aggression -gerade in Deutschland, wo wir uns über Jahrzehnte von russischem Gas abhängig gemacht haben. Aber wenn wir jetzt einknicken, wäre der Preis noch viel höher. Ich will, dass auch unsere Kinder in Frieden und Sicherheit aufwachsen können, so wie wir es konnten- und nicht in einer Welt, in der Krieg wieder normaler Teil der Politik ist und Europa sich von Autokraten nach Belieben erpressen lässt.
Sie verfolgen einen Kurs der wertebasierten Außenpolitik. Was bedeutet eigentlich wertebasierte Politik gegenüber Erdogan mit Infragestellung der Souveränität auf den griechischen Inseln in der Ägäis und mit Karten seines Regierungspartners, wonach alle Inseln Ost-Ägäis von Lesbos bis Rhodos mit türkischen Farben gezeigt werden?
Baerbock: Respekt für das Völkerrecht und die Menschenrechte. Das gilt für Bündnispartner und Freunde genauso wie für alle anderen Staaten. Griechenland und die Türkei sind zwei NATO-Partner. Mitglieder eines gemeinsamen Verteidigungsbündnisses bedrohen einander nicht, sondern akzeptieren und respektieren gegenseitig ihre Souveränität. Zugleich kann man sich seine Nachbarn nicht aussuchen und seine geographische Lage nicht ändern. Daher sind Signale der Dialogbereitschaft, wie sie von Griechenlands Regierung in den vergangenen Jahren immer wieder ausgingen, aus meiner Sicht genau richtig. Dabei kann sich Griechenland auf Deutschlands Solidarität verlassen.
Der Verkauf von 6 hochmodernen U-Booten an ein Land, der Türkei, welches das EU-Mitglied Griechenland militärisch mit „casus belli“ droht, passt nicht besonders zu einer werteorientierten Politik…
Baerbock: Dieses Projekt wurde vor fast 15 Jahren beschlossen und ist so gut wie abgeschlossen. Aber militärische Drohgebärden darf es zwischen NATO-Partnern nicht geben. Das gilt für alle. Daran orientiert sich unsere Außenpolitik, einschließlich unserer Rüstungsexportpolitik.
Griechenland ist an die EU-Außengrenzen dem Druck der Flüchtlings- und Migrationswellen ausgesetzt und Erdogan hat schon öfters die Flüchtlinge als Druckmittel instrumentalisiert. Berichte europäischer Medien haben auch eine Schattenseite des Umgangs griechischer Behörden mit Flüchtlingen gezeigt. Werden Sie ein eigenes Bild der Situation der Flüchtlinge in Griechenland machen?
Baerbock: Ja. Von abstrakter Politik in gekühlten Büroräumen halte ich grundsätzlich wenig. Politik heißt, sich selbst ein Bild zu machen. Und es ist schwer, sich von Berlin aus vorzustellen, wie groß die Aufgabe ist, die Griechenland hier für uns alle übernimmt. Wer ein Europa ohne Binnengrenzen will, muss auch die Sicherheit der EU-Außengrenze als gemeinsame Aufgabe verstehen. Deshalb spreche ich mich für mehr Solidarität in der EU aus und für mehr Unterstützung Griechenlands. Zugleich ist es keine abstrakte Frage, dass wir die Menschenrechte ohne Wenn und Aber schützen müssen. Es geht um Menschenleben, um die Schicksale von Männern, Frauen und Kindern. Unsere europäischen Werte gelten auch an der europäischen Außengrenze. Wenn wir sie hier nicht verteidigen, gehen sie unter. Daher werbe ich so für eine gemeinsame europäische Seenotrettung und lehne Pushbacks ab.
Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland haben im vergangenen Jahrzehnt während der Eurokrise sehr stark gelitten. Der bilaterale Aktionsplan kommt auch jetzt nur schlappend voran. Wie kann er intensiviert werden?
Baerbock: Indem wir ins praktische Handeln kommen. Mir tut es weh zu hören, wie tief bis heute die Verletzungen sind, die nicht nur manche finanzpolitische Entscheidungen sondern auch das Auftreten einiger Politiker verursacht haben, nicht nur zwischen Berlin und Athen, sondern auch im Verhältnis zwischen den Menschen. Ich glaube, das ist vielen in Deutschland gar nicht bewusst. Deshalb kommt es mir darauf an, nicht nur Konsultationen zwischen Hauptstädten zu führen, sondern die Menschen wieder ins Gespräch zu bringen, gerade bei den Zukunftsthemen. Wir wollen die Energiewende und Anpassungen an den Klimawandel gemeinsam gestalten, mit ganz konkreten Projekten: Volkswagen hilft, die Insel Astypalea vollständig auf E-Mobilität umzustellen. In Kozani hat ein deutsches Unternehmen gerade einen der größten Solarparks Europas mitgebaut. Und unsere Energieministerien arbeiten gemeinsam daran, Rahmenbedingungen für den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien zu gestalten. Die aktuelle Dürre und die Waldbrände fast ganz Europa zeigen, wie dringlich es ist, dass wir jetzt handeln. Und zugleich müssen wir die nächsten Generation schon mitdenken. Ich bin froh, dass wir gerade erst die weitere Arbeit des Deutsch-Griechischen Jugendwerks beschlossen haben.
Griechenland hält die Forderungen aus dem Zweiten Weltkrieg weiterhin für offen, Deutschland wiederum hält dieses Kapitel für abgeschlossen. Sie und die Grünen waren schon weiter, besonders bezüglich der Zwangsanleihe. Müssen Sie sich jetzt zurückrudern, weil Sie von der Oppositions- auf die Regierungsbank gewechselt haben?
Baerbock: Viele Deutsche kennen und lieben Griechenland als traumhaftes Urlaubsland, aber längst nicht alle wissen, welches Ausmaß die Brutalität und Terrorherrschaft Deutschlands im Zweiten Weltkrieg hatte. Die Erinnerung daran zu bewahren ist mir eine Herzensangelegenheit. Deswegen beginne ich meinen Besuch heute in Athen an der ehemaligen Stadtkommandantur und der Holocaustgedenkstätte. Die Verantwortung für die eigene Geschichte kennt keinen Schlussstrich. Deshalb will ich, dass meine Reise eher als Beginn für eine vertiefte, gemeinsame Auseinandersetzung verstanden wird, auch wenn wir als neue Bundesregierung hier nicht zu einer veränderten Rechtsposition gekommen sind.